Ein MCP für Lokaljournalismus

Wie KI Datenanalyse zugänglich macht

Datenjournalismus war für mich lange Zeit wie Klavierspielen: beeindruckend anzuhören, aber selbst in die Tasten greifen? Nichts für mich. Die technischen Hürden schienen zu hoch, die Lernkurve zu steil. Dann entdeckte ich die Möglichkeiten von Custom MCPs (Model Context Protocol).

Ein MCP als Brücke zur Datenanalyse

Mit Claude Code habe ich einen personalisierten MCP entwickelt, der mir direkten Zugriff auf das Statistikportal des Kantons Graubünden ermöglicht. Der Prozess war überraschend zugänglich: Es ging nicht darum, eine komplette Anwendung von Grund auf zu programmieren, sondern vielmehr darum, eine Brücke zwischen meinen journalistischen Fragen und den verfügbaren Daten zu bauen.

Im Wesentlichen habe ich:

  • Die API-Dokumentation des Statistikportals analysiert – soweit ich das konnte, dann:
  • mit Claude versucht, die Datenstruktur zu verstehen
  • Einen MCP-Wrapper entwickelt, der komplexe Abfragen in natürlicher Sprache ermöglicht
  • mit den Claude-Visualisierungsoptionen geschafft, die die Daten anschaulich machen

Mit jedem Projekt verstehe ich besser, wie APIs funktionieren und wie man sie effektiv abfragen kann. Der MCP bildet dabei eine intuitive Schnittstelle, die mir erlaubt, mit den Daten zu „sprechen“, ohne mich in technischen Details zu verlieren.

Ein dramatischer demografischer Wandel

Meine erste richtige Anwendung des neuen Tools? Eine einfache Frage: „Zeig mir die Entwicklung der Geburten nach Altersgruppen in Graubünden seit 1970.“

Das Ergebnis war verblüffend: Ein dramatischer demografischer Wandel wird in den Daten sichtbar. 1970 bekamen 76% der Bündner Frauen ihre Kinder vor dem 30. Lebensjahr. Heute ist das Verhältnis komplett umgekehrt – Bündner Mütter werden immer älter, mit dem Schwerpunkt der Geburten nun deutlich jenseits der 30.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Daten:

  • Geburtenrückgang: Fast die Hälfte weniger Babys (-44.6%) trotz Bevölkerungswachstum
  • Junge Mütter (< 25) verschwinden: Von einem Drittel auf fast nichts (31% → 4%)
  • Mittlere Gruppe (25-29) verliert: Einst grösste Gruppe, heute nur noch 20%
  • 30-34-Jährige dominieren: Neue Hauptgruppe mit 42% aller Geburten
  • 35-39-Jährige auf dem Vormarsch: Verdreifachung von 10% auf 29%
  • Späte Mutterschaft (40+) wird normaler: Deutlicher Anstieg

Zahlen brauchen Gesichter

Aber Zahlen allein sind nur die halbe Miete. Um der Geschichte Tiefe zu verleihen, sprach ich mit der Hebamme Angelica Signer-Urech, die in Chur ein Geburtshaus plant – trotz des stetigen Geburtenrückgangs. Sie gibt den abstrakten Daten ein Gesicht und erklärt, was dieser demografische Wandel für die Geburtshelfer und werdende Mütter heute bedeutet.

Journalistisch gesprochen kombiniert der Beitrag zwei zentrale User Needs:

  • „Educate Me“ – die harten Fakten zum demografischen Wandel
  • „Give Me Perspective“ – was bedeutet das für echte Menschen?

Vom MCP zum fertigen Beitrag – ein iterativer Prozess

Die technische Umsetzung war natürlich nicht ganz so einfach, wie es im Ergebnis erscheinen mag. Es brauchte mehrere Iterationen, um den richtigen „Dreh“ im Gespräch mit dem MCP zu finden und die richtigen Abfragen zu formulieren. Und selbstverständlich war die Überprüfung der generierten Daten unerlässlich – KI-Tools nehmen uns die kritische Kontrolle nicht ab.

Was ich durch dieses Projekt gelernt habe: Datenjournalismus muss keine exklusive Domäne von Programmierexperten sein. Mit dem richtigen Werkzeug können auch „Normalos“ wie ich komplexe Datenanalysen durchführen und aussagekräftige Visualisierungen erstellen – ohne jahrelang Programmieren lernen zu müssen.

Der fertige Beitrag bildet den Start der neuen Terra-Grischuna-Serie „Zahlen, Daten, Menschen“, die komplexe statistische Themen mit persönlichen Geschichten verbindet. Ein schönes Beispiel dafür, wie KI im Lokaljournalismus neue Möglichkeiten eröffnet und tiefere Einblicke ermöglicht.

Und das Beste: Mit jedem Projekt verstehe ich mehr, wie APIs, Abfragen und MCPs funktionieren. Der technologische Lernprozess selbst wird zum Gewinn – und macht nebenbei auch noch Spass.

Hier die Visualisierung:


📊 Geburten in Graubünden

Gesamtzahl und Altersverteilung der Mütter 1970-2023

🎯 Was zeigt diese Grafik?

Doppelte Story: Die Gesamthöhe jeder Fläche zeigt die totalen Geburten pro Jahr. Die Farbschichten zeigen die Anteile der verschiedenen Altersgruppen. So sehen Sie sowohl den Geburtenrückgang als auch den dramatischen Altersshift!

< 25 Jahre
25-29 Jahre
30-34 Jahre
35-39 Jahre
40+ Jahre
2,775 → 1,538
Gesamtgeburten
-44.6% weniger Babys
31% → 4%
Anteil < 25 Jahre
Praktisch verschwunden
35% → 20%
Anteil 25-29 Jahre
Starker Rückgang
20% → 42%
Anteil 30-34 Jahre
Neue Hauptgruppe!
10% → 29%
Anteil 35-39 Jahre
Verdreifacht!
4% → 6%
Anteil 40+ Jahre
Deutlich mehr

📈 Haupterkenntnisse aus dem Flächendiagramm:

  • 📉 Geburtenrückgang: Fast die Hälfte weniger Babys (-44.6%) trotz Bevölkerungswachstum
  • 🔴 Rot (< 25) schrumpft: Von einem Drittel auf fast nichts (31% → 4%)
  • 🟠 Orange (25-29) verliert: Einst größte Gruppe, heute nur noch 20%
  • 🔵 Blau (30-34) dominiert: Neue Hauptgruppe mit 42% aller Geburten
  • 🟢 Grün (35-39) explodiert: Verdreifachung von 10% auf 29%
  • 🟣 Lila (40+) wächst: Späte Mutterschaft wird normaler
Datenquelle: Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden
Dataset: „Naschientschas vivas“ (Lebendgeburten nach Alter der Mutter)
Visualisierung: Stacked Area Chart zeigt sowohl absolute Zahlen als auch relative Anteile